Kurt Hauschild

Dr. rer. nat. habil. Kurt Hauschild war von Beruf Mathematiker, doch sein Hauptinteresse galt zeitlebens der Musik.

1933 in Berlin geboren, lebte er im ehemaligen Ostsektor der Stadt. Er studierte zunächst Philosophie, wandte sich dann aber der Mathematik zu. Bis zu seiner Invalidisierung 1985 forschte er dazu an der Humboldt-Universität und der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Schon in seiner Jugendzeit musizierte und komponierte er, verbarg jedoch sein Schaffen bis zur Wende 1989 vor der Öffentlichkeit. Er komponierte ausschließlich tonal, seine Vorbilder waren die Komponisten der Wiener Klassik. Der Stil, den Hauschild verfolgte, ist Ausdruck seiner weltanschaulichen Position, die sich dem Geist der Aufklärung verpflichtet fühlte.

Sein beachtliches kompositorisches Werk besteht aus zwölf Streichquartetten, neun Klaviersonaten sowie weiteren Kammer- und Klaviermusiken, aus insgesamt mehr als 80 Werken.

"Ist der Komponist mehr Erfinder oder Entdecker? Mehr Entdecker. Erfinden muss man nur die Themen, was keine Kunst ist. Die Kunst besteht darin, aus den Themen herauszuholen, was drinsteckt."

[Kurt Hauschild 1987]

Lebenslauf

*1933 in Berlin (im späteren Ost-Teil) als Sohn eines Studienrates

Evakuierung in den Jahren 1943 und 1944

Studium der Philosophie und Mathematik

1960 Staatsexamen als Oberschullehrer für Mathematik und Physik, danach kurze Zeit im Schuldienst

Weiteres Studium der Mathematik, anschließend als Diplom-Mathematiker wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mathematische Logik der Humboldt-Universität zu Berlin

1964 Promotion

1969 Habilitation, tätig in Ausbildung und Forschung

1969 Heirat

1973 Fluchtversuch des Bruders

1974 Weitergabe einer Fluchtgelegenheit an einen Freund

1975 Wechsel zur Akademie der Wissenschaften

1985 Invalidisierung nach verschlechterndem Gesundheitszustand

2009 Schlaganfall und Pflegebedürftigkeit

†1922 in Berlin

Kurt Hauschild und seine Frau 2013   ©anna barbara kastelewicz

Leben, Schaffen & Haltung

Kurt Hauschild entwickelte schon sehr früh seine Liebe zur Musik. 1943, mit 10 Jahren, bekam er Klavierunterricht, den er leider kriegsbedingt abbrechen musste und auch unter den schwierigen Umständen der Nachkriegszeit nicht wieder aufnehmen konnte. Er übte selbständig und blieb Autodidakt. Er liebte es, Partituren zu studieren und versuchte sich mit 13 Jahren an ersten eigenen Kompositionen. Musikalisch fühlte er sich zeitlebens besonders der Wiener Klassik verbunden.

Er entwickelte ebenso ein frühes Interesse an Philosophie und Psychologie. Um sich der kommunistischen Indoktrination der frühen DDR-Jahre zu entziehen, entschied er sich für ein Studium der Mathematik, welches er mit dem Staatsexamen als Oberstufenlehrer abschloss. Allerdings hielt er es im streng politischen Schulsystem der DDR nur kurze Zeit aus und empfand es als großes Glück, nach Ablegen seiner Diplomprüfung eine Assistentenstelle an der Humboldt-Universität als Mathematiker antreten zu können.

Seine früh begonnene Komponiertätigkeit führte Kurt Hauschild stetig fort, hielt sie aber während der gesamten DDR-Zeit geheim, um politischen Konflikten auszuweichen. Er beschreibt seine "ständige Furcht, als Staatsfeind enttarnt zu werden." So war ihm die Musik vermutlich nicht nur ein wichtiger Rückzugsort, sondern auch seine Möglichkeit, das auszudrücken, was öffentlich nicht gesagt werden durfte. Besonders deutlich wird das in der Komposition seines 8. Streichquartettes, welches heute "Jan Palach" heißt. Er schreibt selbst: "Dieses ist das einzige meiner Quartette, das einen konkreten Inhalt hat: die Selbstverbrennung Jan Palachs auf dem Wenzelsplatz in Prag nach der sowjetischen Invasion in die CSSR. Es wurde im Wesentlichen schon 1969 komponiert (Überarbeitung nach ́89). Die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der damaligen Zeit wollte ich musikalisch ausdrücken."

Diese "Stimmung kompromissloser Düsternis" und sein Doppelleben als (geheimer) Komponist und Mathematiker belasteten ihn so sehr, dass er es als Glück empfand, 1985 invalidisiert zu werden.

Erst nach dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR gab Kurt Hauschild seine Isolierung auf. Sein Bruder bemühte sich sehr um erste Aufführungen, so dass ab 1990 seine Musik der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte.

 

"Wer kein Gefühl für Distanz hat, dem mangelt es an Kultur. Das ist in der Kunst genau so wie im Leben."

[Kurt Hauschild 1985]

Kurt Hauschild und Anna Barbara Kastelewicz 2013

©Anna Barbara Kastelewicz

Engagement für die Werke Kurt Hauschilds

Die Geigerin Anna Barbara Kastelewicz lernte Kurt Hauschild 2006 kennen. Sie interessierte sich für sein Schaffen, trat mit ihm in regen Austausch und beschäftigte sich intensiv mit seinen Werken. Diese Zusammenarbeit motivierte sie zu musikwissenschaftlichen Forschungen, sie schrieb eine Dissertation zum Thema: "Musik, Kultura und kulturelle Betätigung in den Speziallagern der sowjetischen Besatzungsmacht 1945-1950 in der SBZ bzw. DDR", welche mit dem Preis für die beste Dissertation 2023 vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Österreich ausgezeichnet wurde. Ihre Agentur "music in progress" präsentiert Kurt Hauschild als Komponisten, dokumentiert und katalogisiert seine Werke.

Wir freuen uns, in Zusammenarbeit mit Anna Barbara Kastelewicz die ersten Werke von Kurt Hauschild zu verlegen. Demnächst wird das Streichquartett Nr.8 "Jan Palach" hier erhältlich sein, gefolgt vom Streichquartett Nr.2 und weiteren kammermusikalischen Werken.

Streichquartett Nr. 8

"Jan Palach"

Streichquartett Nr. 2

 

Kurt Hauschild schreibt rein tonale Musik im Stile der Wiener Klassik.

 

"Sie fragen: Kann man heute noch komponieren wie 1828? Aus psychologischen und ethischen Gründen meine ich: ja. Dazu Folgendes...

Ich bin Anhänger der Philosophie der Aufklärung (Voltaire, Lessing, Kant, Hannah Arendt), speziell auch der „Konsensdemokratie“ (Der Mensch soll versuchen, durch 'repressionsfreie Diskussion' zu 'kommunikativem Handeln' zu kommen - Habermas). Physikalische Resonanz kann man psychologisch als 'gegenseitiges Verstehen' interpretieren, also Konsonanz durch Konsens, Dissonanz durch Dissens. Im Quartett werden die Motive so ausgestaltet und gegeneinander gestellt, dass Dissonanzen zu Konsonanzen aufgelöst werden...

Natürlich darf es in der Musik unaufgelöste Dissonanzen geben, so wie es im Staate unauflösbaren Dissens immer geben wird. Es gilt aber: Das Streben nach Konsonanz sollte immer den Charakter des Stückes bestimmen."

Kurt Hauschild 2013 in einem Brief an einen Cellisten und Hochschullehrer